Sie hat etwas zu sagen!
Ihr erinnert Euch garantiert an das geniale Musikvideo von und mit Corinna, oder?
Das, in dem sie ziemlich genial (und vielleicht ein klein wenig sarkastisch) aufzeigt, was einer Mutter so geboten wird, wenn sie einen Teilzeitjob sucht.
Nein? Doch?
Na, ehe es jemand verpasst, hier gleich noch mal „Ländlicher Raum“
Wird das hier jetzt ein Dauerbeitrag oder was?
Nein, natürlich nicht, es ist viel besser!
Im ursprünglichen Blogartikel zu dem Thema habe ich ja die Hoffnung geäußert, dass sie vielleicht auch selbst hier ein paar Worte dazu verlieren möchte.
Was soll ich sagen, sie hat zugestimmt!
Nicht live, aber per Text und in Farbe hier im Blog, Corinna im O-Ton zum Thema Teilzeitarbeitsplatz für Mütter in Gegenden, wo die Wege lang und die Möglichkeiten offensichtlich kurz sind.
Ok, was soll ich noch sagen, hier ist das Interview
Dein Text zu diesem Lied behandelt ja nicht nur eins, sondern gleich mehrere Themen. Warum?
Was in diesem Text aufs Korn genommen wird, hat ja leider einen recht ernsten und unschönen Hintergrund. Der Text beschreibt mehrere Punkte, die jeweils einzeln schon problematisch sein können, die sich jedoch auch teilweise überschneiden und sogar gegenseitig bedingen – eben besonders im ländlichen Raum.
Und die treffen zumindest momentan auch alle auf mich zu, deshalb kommen sie alle im umgeschriebenen Liedtext vor.
Du nennst den ÖPNV.
Ja. Denn der ist im ländlichen Raum einfach nicht nennenswert. Ich wohne selbst in einer Kleinstadt mit 12.000 Einwohnern in der Kerngemeinde. Und ich bin froh, in der „Stadt“ zu leben! Leute, die in einem der vielen umliegenden Dörfer leben, lachen gackernd, wenn man „Öffentlicher Personennahverkehr“ auch nur ausspricht. Da fährt zwei Mal am Tag ein Bus – der Schulbus. Einmal morgens, einmal nachmittags. Am Wochenende fährt kein einziger Bus.
Was bleibt also übrig an Fortbewegungsmitteln?
Mit dem Fahrrad lässt sich zumindest dort, wo ich wohne, längst nicht alles erreichen (hier gibt es neben Kühen und Hühnern auch viele, viele Hügel). Auch mit dem Zug nicht – hier wurden Zugstrecken sogar rückgebaut.
Die Leute müssen also sehr oft aufs Auto zurückgreifen, aber wenn man sich mal ausrechnet, wie viel ein Auto eigentlich kostet … Naja, ich schweife ab.
Und die anderen Themen?
Die Kühe und Hühner?
Scherz beiseite – das zweite Thema ist das Jobangebot auf dem Land. Und das dritte die Jobsituation und Job-Such-Situation von Müttern in Teilzeit. Was ein bisschen ineinandergreift.
Um das näher zu erklären, muss ich noch einmal über meine persönliche Situation reden. Ich bin Mutter eines kleinen Kinds, das das Down-Syndrom hat. Zudem gehe ich einer Erwerbsarbeit in Teilzeit nach, aktuell zwölf Stunden pro Woche.
Regelmäßig sehe ich mich auf Stellenportalen um, und logischerweise hauptsächlich in den Branchen, in denen ich studiert und gelernt habe. Da gibt es so gut wie keine Jobangebote – zumindest nicht auf dem Land, sondern in größeren Städten (die mindestens 45 Minuten Autofahrt entfernt liegen), und zumindest keine in Teilzeit. Und wenn in Teilzeit, dann mit Minimum 20 Arbeitsstunden.
Tja, was soll ich sagen, ich bin zum einen pflegende Angehörige, was natürlich Zeit verschlingt. Zum anderen möchte ich ja selbst nicht nur „zu Hause sitzen“, sondern ich will ja arbeiten – und auch gerne mehr als zwölf Stunden pro Woche. Und am besten einigermaßen in der Nähe, damit ich auch notfalls schnell vor Ort sein kann, wenn der Kindergarten anruft und sagt, dass mein Kind verletzt ist.
Das sind ganz schön viele Probleme, oder?
Ich denke, es sind viele Aspekte eines Problems.
Ich rede aber ungern von „meinem“ Problem, sondern es ist eine Problematik, die viele Mütter betrifft, unter anderem eben mich.
Und diese Problematik beinhaltet zum Beispiel auch die Betreuungssituation von Kindern, damit Mütter überhaupt arbeiten gehen können – was im Lied nun nicht vorkommt, aber das hätte den Rahmen auch gesprengt.
Dann ist es eben auch ein Angebotsproblem und zugleich auch das Problem, dass Unternehmen wirtschaftlich denken, was ebenfalls ineinandergreift. Frauen können schwanger werden, dann sind sie erst mal weg, vielleicht kommen sie ein paar Jahre später zurück, können dann aber nur noch Teilzeit arbeiten und sind sowieso ständig mit einem kranken Kind zu Hause – diese Klischees herrschen in sehr, sehr vielen Köpfen vor, und deshalb lohnt sich diese „Nummer“ für ein Unternehmen wirtschaftlich gesehen nicht. Ich habe es bei meinem eigenen Arbeitgeber oft genug miterlebt, dass nach einem Probearbeitstag einer potenziellen neuen Mitarbeiterin gemunkelt wurde: „Die ist Ende 20, die kriegt bestimmt bald ein Kind.“
Und was passiert? Die Frau wird genau deshalb nicht eingestellt.
Ich meine – what the fuck?!
Zumal zu einem Kind ja meist zwei Elternteile gehören.
Ja. Wir leben im 21. Jahrhundert – auch Väter dürfen in Elternzeit gehen und Teilzeit arbeiten. Aber das ist eher eine Ausnahme, zumindest die Sache mit der Teilzeit. Ach, ich könnte noch stundenlang darüber reden, aber ich bin sowieso schon ganz schön abgeschweift.
Dann noch mal ganz zum Anfang zurück, zum ländlichen Raum: Magst du den denn wenigstens ein bisschen?
(lacht)
Ja, doch, ein bisschen schon. Er hat neben seinen Nachteilen natürlich auch Vorteile, wie das ja bei allem ist. Die Luft ist definitiv besser als in den Großstädten. Es ist hier nicht so anonym wie es in größeren Städten oft ist – was auch ein Nachteil sein kann, aber das ist ein anderes Thema.
Ich lebe nicht auf dem Dorf und darf, wenn ich ein Auge zudrücke, eine Art Mischung aus Stadtleben und Landleben erfahren: Fast alles, was ich für den täglichen Bedarf brauche oder was wichtig ist, ist mit dem Fahrrad zu erreichen. Außer das nächste Krankenhaus – aber das ist ebenfalls ein anderes Thema.
Und doch bin ich, wenn ich möchte, sehr schnell in wunderschönster Landschaft. Mit dem E-Bike zum Beispiel, das ich jetzt endlich habe, kann ich die hügelige Gegend erkunden oder auch tatsächlich zur Arbeit fahren.
Und man ist von hier aus schnell am Bodensee und relativ schnell in den Bergen. Mit dem Auto, natürlich.
Natürlich. Vielen Dank für das Gespräch.
Zum guten Schluss
Vermutlich spricht Corinna vielen Frauen in ähnlicher Situation (aber auch Männern, da bin ich sicher) aus Seele, oder?
Auf jeden Fall sind das Probleme, die angesprochen gehören, weil sie täglich den Alltag beeinflussen. Real werden sie an vielen Stellen bei der Thematik „Job & Kind“ aber schlicht ignoriert, weil der Sachverhalt eben unbequem ist und fast jeder die Verantwortung von sich weist.
Im Zweifel heißt die Parole „Die Betroffenen müssen flexibel sein!“, dieses Totschlagargument hilft nur leider gar nicht.
An dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank an Dich Corinna, ich weiß, da steckt viel Zeit und Mühe drin
Ich weiß, ich habe das auch im vorherigen Artikel schon erwähnt, aber es kann ja nicht schaden, es zu wiederholen:
Wer dichter an Corinna und ihrer Musik „dran“ bleiben möchte: Der Twitter-Account „@zuselisu“ macht’s möglich.