Im Bild ein Satz, den ich in den letzten Tagen aufgeschnappt habe und irgendwie muss der hier vermerkt werden. Ich kann das nämlich auch ziemlich gut mit dem Erwarten der größten Hürden und beziehe den Spruch auf die Tatsache, dass viele Menschen oft Probleme sehen, wo eigentlich noch nicht einmal eine Aufgabe existiert. Hinzu kommt noch ein gewisses Talent, Ungeduld zur Pflicht zu machen, was dann einen echt unschönen Mix ergibt.
Gelegentlich sieht man ja nicht, was wirklich real ist, sondern das, was persönlich erwartet wird. Wahrscheinlich liegt’s vor allem an dem, was man so an Erfahrungen mit sich trägt.
Vielleicht denke ich ja immer wieder mal dran, wenn ich das Moralei da sehe
Ich sitze beim Arzt, warte darauf, dass mein Name genannt wird und eben irgendwann an die Reihe komme. Endlich kommt der ersehnte Augenblick, der Startschuss zur Heilung!
Die nette bis netteste Sprechstundenhilfe (das heißt jetzt anders, oder?), parkt mich im Sprechzimmer auf einem Stuhl mit den begleitenden Worten: „Frau Doktor kommt gleich!“ Nun, das ist auch meine Erwartung, wenn gleich der Fliesenleger reinkommt und eine Spritze in der Hand hält, hau ich nämlich ab.
Nutze die Gelegenheit…
Hier hocke ich nun voller Erwartung und in Demut, Kurzweil will nicht aufkommen. Bei akuten Schmerzen oder sonstigen Problemen, kommt ja schnell der Beweis, dass Zeit ein dehnbarer Begriff ist. Heute steht aber nichts Dramatisches an, es geht nur um eine Kontrolle und die Besprechung der letzten Blutwerte.
Allerdings ja, da ist schon noch was…
Ich weiß aber nicht, ob ich da so früh drüber reden will. Kann man ja nicht so einfach, am Ende stellt sich noch heraus, dass was behandelt werden muss. Schlimmstenfalls noch unter Schmerzen. Vielleicht brauche ich gar Medikamente? Wissen die hier eigentlich, dass ich jeden Monat Kohle in der Apotheke lasse, von der andere ein Auto finanzieren?
Ne, das ist ein Risiko, da warte ich erst mal ab, was vorher so läuft. Überhaupt wäre es aktuell besser, nur die Punkte bei mir zu erwähnen, die in Ordnung sind, das geht vermutlich schneller.
Ich sehe mich um. Es gibt einige Sachen, die bestimmt auch im Hobbykeller Beeindruckendes leisten könnten. Da, dieses Ding mit der Öse oder das Schlauchteil da vorne. Könnte man vielleicht benutzen, um etwas abzupumpen oder aufzublasen. Ob’s dazu geeignet ist? Keine Ahnung. Soll ich mir das mal ansehen? Zu riskant, es könnte ja jemand reinkommen und denken, ich mach hier ’ne Eigentransplantation, was macht denn das für einen Eindruck? Ich benehme mich lieber. Ja, das wird das Beste sein.
Der Blick analysiert weiter das Zimmer, ich erspähe meine Patientenakte auf dem Bildschirm! Die Gelegenheit muss ich nutzen. Jetzt komme ich hinter all die Informationen, die SIE tatsächlich über mich sammelt. Nicht das, was gefiltert dem Patienten mitgeteilt wird, jetzt kann ich sehen, wie es wirklich um mich steht. Tapferkeit ist angesagt. Wer sind schon CIA und BND? Jetzt kommt Michael 2.0, aber Hallo! Bisschen den Stuhl drehen, etwas besser positionieren, so wird es gehen.
Aber Stopp! Was ist, wenn da mein baldiges Ende geschrieben steht, welches sie mir gerade heute verkünden will? Immerhin geht es hier um die Daten von dem, was da durch meine Adern fließt! Wer weiß, wie viele Tragödien in so einem harmlos erscheinenden Moment schon begonnen haben? Ich fühle mich jetzt plötzlich auch gar nicht gut und war da nicht letztens dieses komische Zucken auf der Wange? Was ist auch mit dem Pickel vom Sommer, ist der gut verheilt? Irgendwie bemerke ich gerade eine leichte Reizung im Hals, kann nur der Corona-Virus sein. Sehen wir der Realität ins Auge: ich bin Erledigt!
Nix, das muss ich wissen und gucke just in dem Moment auf den Schirm, als der Bildschirmschoner anspringt. Die spinnen doch! Bildschirmschoner im Jahr 2020 und bei meinen Daten. Wie soll ich denn jetzt was sehen?
Nun, da liegen Maus und Tastatur… Ein kleiner Ruck, ein kleiner Druck und alles wäre in Millisekunden wieder sichtbar. Langsam und unauffällig, noch unentschlossen, nähert sich meine Hand der Maus.
Die Abdeckung zum Schutz des Auges nach der OP. Das sie transparent ist, habe ich erst am nächsten Tag bemerkt. Zuvor war alles mit Verbandmaterial gefüllt. Die Befestigung erfolgt schnell und einfach mit Pflasterstreifen.
Natürlich ist da eine ziemliche Erschöpfung zu spüren, nicht nur von der Ruhigstellung während des Eingriffes. Die Nachtruhe war eher dürftig, ich habe vor dem Termin nur oberflächlich und eher zu wenig geschlafen.
Für den heutigen Rest vom Donnerstag, dem OP-Tag, steht nur ausruhen auf dem Plan.
Lediglich der Kontrollanruf aus dem Augenzentrum ist gegen Abend noch Teil des Pflichtprogramms. Bis zum morgigen Kontrolltermin, habe ich so weit mit dem frisch behandelten Auge keine Interaktionspflicht, einfach möglichst die Augen geschlossen halten und nichts Anstrengendes unternehmen.
Ich trinke endlich in Ruhe eine heimische Tasse Kaffee, dann eine Kleinigkeit essen und ab auf das Sofa. Fernsehen oder lesen sind zwar nicht verboten, mit nur einem Auge und einer merklichen Erschöpfung, kommt aber bei mir im Moment kein Verlangen nach solcher Zerstreuung auf.
Ich versuche ein bisschen zu schlafen, irgendwie klappt’s dummerweise nicht so recht. Es tritt eher eine Art Dämmerzustand ein. Immer wieder verspüre ich den Drang, die Augen zu öffnen.
Das Spielchen zieht sich bestimmt eine Stunde lang hin, bis ich im verbundenen Auge ein leichtes Fremdkörpergefühl verspüre, vergleichbar mit einer Wimper, die sich verirrt hat. Kein Schmerz, nur eine sehr penetranter und nerviger Reiz.
Das Auge ist mit der Schutzabdeckung versehen, da bleibt wohl nur aushalten. Der Drang sich die Augen zu reiben, ist jedoch gigantisch, man bleibt aber eisern. Unter dem Verband fängt es auch noch an zu jucken, eben all das, was man zumindest meint zu empfinden, wenn keine Handlungsmöglichkeit besteht.
Irgendeine Form von Ablenkung muss her, sonst dreh ich durch
Also doch mal den TV anschalten und testen, inwieweit da mit einem (vor der 2. OP ebenfalls eingeschränkten) Auge etwas Filmvergnügen aufkommen kann.
Es geht mehr schlecht als recht, immerhin eine Form der Beschäftigung. Leider wird nach einiger Zeit das Piksen im verbundenen Auge deutlicher, jetzt ist es schon eine eher schmerzende Angelegenheit. Was sagte die Dame in der Augenklinik noch gleich? „Am besten beide Augen geschlossen lassen, dann sind auch die Beschwerden beim Operierten erträglicher!“
Was soll ich sagen? Sie hat recht. Sind beide Augen zu, sticht nach ein paar Sekunden nichts mehr.