Eine Reha – Teil 2: Die Ankunft

Reha Koffer symbolischDie Ankunft

Eine ziemlich wirre Fahrt mit dem Taxi beginnt. Es geht mal links, mal rechts, dann wieder rauf und runter. Müsste ich jetzt selber fahren, wäre ich ohne Navi verloren, mit aber wahrscheinlich auch.

Eventuell liegt das aber nur an mir, ich sehe in letzter Zeit nicht besonders gut. Wenn ich wieder Zuhause bin, muss ich mich um den grauen Star kümmern, da führt kein Weg dran vorbei. In gewohnter Umgebung ist die miese Sicht noch gut zu kaschieren, in fremden Gefilden gehen aber zu viele Details unter, die zur Orientierung wichtig sind.

Natürlich kenne ich mich hier überhaupt nicht aus, aber nachdem der Bahnhof bei der Ankunft schon viel versprochen und wenig gehalten hat, sind meine Erwartungen auch nicht besonders hoch. Gefühlt geht es zu einem Ort außerhalb jeder Zivilisation, was der Mobilfunkempfang im Moment recht deutlich bestätigt.

Der Fahrer ist wirklich freundlich, er erklärt viel, ich bin aber kaum bei der Sache, es geht mir einfach zu viel im Kopf herum. Am Rande erfasse ich, dass die andere Dame vom Bahnhof, die jetzt mit im Auto sitzt, zu einer anderen Klinik muss und ich zuerst abgeliefert werde. Da scheint es etwas Durcheinander zu geben, ich frage mich, wie viele von den Rehahäusern hier wohl existieren. Ich horche allerdings auf, als ich mitbekomme, dass die Frau aus Oberhausen kommt. Dort habe ich jahrelang gearbeitet und 44 Jahre direkt nebenan in und um Duisburg gelebt, ziehe dann 300 km weit in den Odenwald, um hier in der Reha, wiederum 200 km von Daheim, quasi eine fast-Nachbarin zu treffen. Schon kurios. Irgendwie verbindet so etwas, kann man schlecht erklären. Susanne heißt die Gute, man stellt sich eben kurz und formlos vor. Wahrscheinlich würde ein interessantes Gespräch aufkommen, wenn sie nicht genau so durch den Wind wäre, wie ich.

Es ist vollbracht, wir rollen auf einen Parkplatz und stehen vor dem Gebäude. Optisch eher ein Mietbunker aus den 70ern, der Klinikcharakter schlägt aber durch. Wenn ich da an meine erste Reha zurückdenke, verspüre ich schon eine gewisse Ernüchterung. Gut, ich will ja hier auch nicht für immer einziehen, außerdem weiß ich ja nun noch gar nichts über das Innere, also Klappe halten. Wir steigen aus, der Taxifahrer hilft mir noch bis zur Tür mit dem Gepäck und fährt wieder ab. Ich schaue auf die Uhr, wir haben es kurz nach 11, wahrscheinlich liege ich gut in der Zeit, aber spielt das eigentlich im Augenblick eine Rolle?

Ich bin da!

Aus dem Augenwinkel registriere ich schräg hinter mir das Raucherhäuschen und obwohl ich ja nun schon seit Jahren elektrisch dampfend unterwegs bin weiß ich, dass dort ein großer Teil meiner Reha stattfinden wird. Für mich ist eben Liquid der neue Tabak, was allerdings an den Aufenthaltsmöglichkeiten nicht viel ändert. Wenn es so ist, wie meine Erfahrungen belegen, erfolgt dort in der Qualmecke die Therapie von der Therapie. Das muss aber alles warten, jetzt brauche ich erst mal eine Zuflucht.

Wir haben einen regnerischen 28. Mai, alles ist grau. Zusätzlich ist es nicht besonders warm. Kein sehr einladendes Wetter, um vor der Tür zu stehen. Irgendwie passt dies perfekt zu meiner aktuellen Stimmung.

Unter tiefem Luft holen gehe ich durch die elektrischen Schiebetüren zur Theke der Anmeldung. Eine Dame sitzt dort und hat den Telefonhörer am Ohr, ich bin natürlich höflich und warte das Ende des Gespräches ab. Sie legt auf, ignoriert mich mit einer gewissen Arroganz Betriebsamkeit und verschwindet durch eine Tür an der Wand ins Nichts. Super! Also werde ich schon mal meine Papiere bereitlegen und sortieren, wird ja gleich bestimmt alles benötigt.

Sie kommt wieder, setzt sich und schaut mich herausfordernd an.

Guten Morgen, ich darf ab heute hier 5 Wochen in die Reha“, sage ich, während ich ihr das Einladungsschreiben anbiete.

Sie nimmt den Zettel, legt ihn unbeachtet auf die Tastatur vor ihr, sofort und ohne Anlauf bekomme ich zum Gruß: „Guten Tag, die Versichertenkarte brauche ich!

Wow, sehr effizient die Dame, muss ich schon sagen, nur keine Zeit verschwenden. Patienten stehen hier ja niemals verunsichert und verängstigt, da kann man auf einen rücksichtsvollen Umgang natürlich verzichten. Wenn ich mich nicht so kaputt und innerlich verwundbar fühlen würde, hätte mein Unterprogramm ‚Gegenwehr‘ jetzt eigentlich schon für eine gewisse Klarstellung der Umgangsformen gesorgt, mir fehlt dazu aber in diesem Moment einfach die Energie. Ich hatte zudem gehofft, vielleicht auf die Dame zu treffen, mit der ich am Tag zuvor nach meinem Gepäck gefahndet hatte, da war mehr Sympathie im Spiel.

In dem Moment klingelt es auch in meinem Kopf, die Koffer!

Während der nun beginnenden Papierschlacht wage ich die schüchterne Frage, ob denn vielleicht mein Gepäck schon angekommen ist. „Weiß ich nicht, wenn dann steht alles da hinten!“, ist die genervte Antwort. Eher gebellt, als gesprochen. Ich empfinde das jedenfalls so. Nach der nüchternen Begrüßung, sind eben die Erwartungen dementsprechend.

Also gut, so kaputt kann ich gar nicht sein, meine Zynismusfunktion fährt nun doch hoch. „Ah, gut“, sage ich, “ich nehme mir dann einfach zwei schöne Taschen weg. Meinen Sie, die Sachen darin passen? Sie müssen mir nur noch sagen, wo dieses ‚da hinten‘ ist.

Sie guckt mich an wie ein Lama!

In mir kommt der Verdacht auf, dass die Dame vielleicht einfach nur etwas überfordert ist, was allerdings weder meine Schuld, noch mein Problem ist.

Eins scheint mir aber schon klar: Mit dieser Person wird es noch lustig! Ich sehe mal auf das Schildchen an der Bluse und merke mir ihren Namen. Für jetzt und hier im Blog ist sie nun meine Frau A. ‚A‘ wie Ankunft übrigens, nicht das böse andere Wort für Popo.

Da hinten an der Wand zum Labor“, sagt sie mir plötzlich in vollem Ernst. Ich klatsche mir vor die Stirn und kann nur entgegnen: „Ach so, klar Labor. Das hätte ich mir ja denken können, Koffer stehen ja immer vor’m Labor.“ Da bekomme ich allen Ernstes ein mitleidiges „Ja“ zur Antwort, die hat das glatt für bare Münze genommen.

Mit den Worten: „Wir rufen Sie gleich auf!„, bin ich anscheinend vorerst entlassen und soll mir wohl jetzt einen Platz suchen, an dem ich warten kann. Allzu weit will ich mich nicht entfernen, ich fürchte, wenn Frau A. mich bei Bedarf nicht sofort findet, gibt die mein Zimmer glatt dem Nächsten, der hier auftaucht. Selbst wenn er schon eines hat, bekommt er bestimmt noch meines dazu und ich kann auf dem Klo pennen.

Ich wage meine ersten Schritte in diesem Hause, an der Theke vorbei um eine Ecke. Ah, da stehen einige Sitzgelegenheiten und, ich fasse es nicht, meine Koffer! Einzeln zu zweit, völlig isoliert und einsam. Die pure Erleichterung, mein Kram ist hier! Später erfahre ich eher zufällig, dass sie doch gestern Abend noch sehr spät kamen, als an der Rezeption niemand mehr im Dienst war. Dann wird Gepäck meistens dort abgestellt. Kommt bei Hermes halt vor, so sagt man mir. Habe ich vielleicht sogar noch Glück, dass nichts abhandengekommen ist? Ich weiß es nicht. Laut Onlinestatus, sind die Sachen jedenfalls immer noch in Zustellung.

Nun gut, also wähle ich mir einen recht zentralen Sessel aus, aber noch ehe ich sitze, ertönt mein Name. Gerufen von der Stimme, einer mir noch unbekannten Frau, das lässt hoffen. Ich werde jetzt auch den Raum kennenlernen, in dem Frau A. vorhin verschwunden ist, allerdings muss ich ihn wohl von der anderen Seite betreten. Das ist etwas unangenehm, weil die Gefahr besteht, dass Frau A. wieder durch diese andere Tür in das Zimmer kommt, während auch ich mich darin befinde. Das muss nicht sein.

Ich setze mich vor einen Schreibtisch, hinter dem die neue Frau S. fleißig am Tippen ist. Sie bleibt nun Frau S., wegen dem ‚S‘ vom Schreibtisch. Ich behalte das Schema jetzt auch bei, notfalls wird nummeriert.

Als erstes bekomme ich einige Blätter Papier in die Hand, die ich bitte unterschreiben soll. Ich beginne, sie zu lesen. Ehe ich blind die Unterschrift leiste, habe ich allerdings einige Fragen, was hier aber anscheinend nicht gerne gesehen wird. Vor allem wurmt mich zum Einen die Pauschalerklärung für die Übernahme der Kosten bei Verlust des Zimmerschlüssels, zum Anderen eine Entbindung des Hauses für die Verantwortung gegenüber irgendwelche Handwerkern, die hier gerade an der Beleuchtung hantieren. Zu diesem Zwecke müssen die Herren uneingeschränkt in die Patientenzimmer und das Haus kann da für nichts garantieren. Da ich weder die Gegebenheiten in den Zimmern noch die Mitarbeiter kenne, habe ich wenig Lust, hier nun einfach meinen Namen drunter zu setzen. Jedenfalls nicht ohne einige Erläuterungen. Das sage ich auch gerade heraus, was ausgerechnet Frau A. dazu bewegt um die Ecke zu schauen und zu mosern: „Ja meinen Sie denn, unser Herr H. (der Haustechniker), kramt in Ihren Sachen?“ Ich knurre zurück: „Ich kenne Herrn H. nicht und kann mir auch nicht vorstellen, dass der in meinen Sachen kramt. Noch weniger kann ich mir allerdings vorstellen, dass der zur Fremdfirma gehört, um die es hier geht!

Frau S. scheint solche Situationen zu kennen und bringt mit etlichen Erklärungen Ruhe in die Geschichte. OK, ich sehe keinen direkten Haken an der Sache und unterschreibe den Kram. Aber mal erhlich, was bleibt einem denn auch anderes übrig?

Der Schlüssel zur RehaFrau S. packt meine Papiere zusammen und überreicht sie mir mit einem Schlüsselbund. Daran befinden sich noch kleinere Schlüssel für eine Schublade im Zimmer und mein Postfach, ein Chip für die Essensbestellung und so ein Anhänger mit Zimmernummer, der notfalls garantiert als Waffe genutzt werden kann. Muss man da was Genaueres zu wissen…?

Die Aufnahme ins Haus endet mit den den Worten: „Ich melde Sie oben an, man kommt dann auf Sie zu. Zimmer 527 ist Ihres, wir sehen uns ja noch des Öfteren.“ Jetzt bin ich hier wohl offizieller Patient. Es ist 12:30 Uhr, ich möchte Kaffe und vielleicht mal an der E-Zigarette ziehen.

Der Einzug

Für den Anfang bin ich nun mir selbst überlassen und kann gucken, wie ich klarkomme. In den 5. Stock muss ich also, aber es kann ja nun nicht Sinn der Übung sein, dass ich mit meinen angeschlagenen Knochen alles einzeln da hoch schleppe. Außerdem, wie komme ich überhaupt da hin? Mittlerweile hat sich an der Anmeldung auch eine größere Menschentraube gebildet, heute ist wohl der allgemeine Aufnahmetag und ich habe das Glück, frühzeitig vor allen anderen angereist zu sein. Was hilft’s, ich zwänge mich noch einmal zur Theke und frage so zwischen drein, wie ich hier wo hin muss und ob man einen Wagen oder Ähnliches, für die Koffer bekommen kann. Frau A. droht Schnappatmung zu erleiden, immerhin habe ich es gewagt, sie erneut zu bemühen. Mehr als ein „Draußen stehen Karren, die Aufzüge sind da um die Ecke!„, kann und will ich ihr nicht entlocken.

Also wieder ins Freie, die Wagen sind schnell gefunden. Aber Hallo, die Dinger haben ein Pfandschloss! Klar, der Kofferkarrendiebstahl in Kliniken am Arsch der Welt ist legendär, so etwas muss wohl sinnvoll sein. Was ich aber garantiert nicht habe, ist die Münze, die da rein muss. Mein letztes Kleingeld ist in Mannheim am Bahnhof draufgegangen, als das Auspinkeln der Getränke vom frühen Morgen teurer war, als die Flüssigkeiten selbst.

Ich muss Geld wechseln. Wen werde ich da um Hilfe oder Information bitten können? Na? Richtig: Sicherlich Frau A. oder zumindest irgendwen, der da vielleicht noch zu finden ist. Zu meiner Freude ist aber Frau S. mittlerweile auch am Tresen aktiv, zeigt sich entgegenkommend und wechselt mir einen 5 Euro Schein. Einfach so, mit den Worten: „Hier sind sie immer richtig, wenn sie Kleingeld benötigen.“ Sie bringt sogar ein Lächeln zustande! Das erste, dass ich sehe, seit der Taxifahrer weg ist.

Erneut führt der Weg vor die Tür. Jetzt gönne ich mir ein paar Züge Nikotin, das ist einfach Pflicht. Dampfen, durchatmen und realisieren, dass ich wirklich hier bin.

Ich hole einen Wagen, packe meine Koffer darauf und bugsiere das Päckchen per Aufzug auf meine Etage. Ob ich überhaupt so eine Keulerei machen darf, hat bisher übrigens niemand gefragt, was ich durchaus hätte verneinen können. Immerhin bin ich hier zur Rehabilitation und von den Damen dort unten weiß sicherlich keine, was ich darf und was nicht. Zu einem gewissen Grad kann ich das ja selber nicht sagen, um solche Dinge zu klären, bin ich schließlich hier. Mein Rücken und meine Gelenke teilen mit unterdessen schon stärker mit, dass so langsam das Limit für diesen Vormittag erreicht ist.

Oben angekommen, muss ich mich erst mal orientieren. Ich lasse kurz das Gepäck stehen und gehe durch Türen und Gänge, bis ich mein Zimmer gefunden habe. Schnell zurück und alles holen, wer weiß, wie schnell hier etwas in fremden Kanälen verschwindet, die keiner kennt. Paranoid? Vielleicht, ich kenne aber den Laden eben noch nicht.

Rein ins Zimmer, Tür zu und hinsetzen. Ich kann vor Rückenschmerzen echt nicht mehr stehen und will nur noch einen Moment Ruhe haben. Von mir aus auf einem Plumpsklo, das ist mir jetzt scheißegal.

Immerhin kann ich mir nun ansehen, in welcher Behausung ich die kommenden fünf Wochen beheimatet bin. Schreibtisch, Stuhl, Bett und ein Fernseher sind vorhanden, ebenso ein Sanitärraum. Auf dem Tisch steht ein Telefon, vermutlich eher ein Relikt aus der ‚Pre Mobilfunk Ära‘. Alles für mich alleine! Ohne Einzelzimmer wäre allerdings auch die ganze Reha für mich nicht infrage gekommen.

Ich habe eine Art winzigen Balkon mit recht netter Aussicht auf Wald und Hügel, das ist völlig in Ordnung. An der Sauberkeit kann auch nichts ausgesetzt werden, allerdings merkt man dem Zimmer ein gewisses Alter schon an. Bei so etwas bin ich aber nicht wirklich anspruchsvoll, jedenfalls nicht, wenn es kein teuer gebuchtes Hotelzimmer ist. Dusche und WC sind zweckmäßig, es ist vor allem für alles ausreichend Platz vorhanden.

Bleibt nun abzuwarten, wann und wie die nächste Kontaktaufnahme erfolgt…

Hier geht’s zu dem, was vorher war :-)

 

 

 

Ein Gedanke zu „Eine Reha – Teil 2: Die Ankunft

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