Du musst!
Wer kennt es nicht:
Der Kühlschrank wird leer, auf der Essenliste stehen Gerichte, für die bestimmte Zutaten benötigt werden – Kurz, Du musst einkaufen.
In normalen Zeiten, ist dies ja ein völlig normaler Vorgang, eigentlich denkt man nicht groß darüber nach. Es sei denn, es ist zum Beispiel Weihnachten oder Du hast, dummerweise, zu viel Kaffee in Dich hineingeschüttet. Normalerweise…
Die Sondersituation
Jetzt haben wir aber eben, dummerweise, keine normalen Zeiten. Menschen können durch die aktuellen Zustände sozusagen der Paranoia freien Lauf lassen. Einige Viren machen das Gleiche, es ist eine Gegenwart erreicht, in der alle das machen können, was sie wollen. Alles, nur eben nicht das Essen, nach dem gerade der Sinn steht. In diesen Wirren um Corona gehst Du nämlich erst einkaufen und überlegst dann, was Du aus dem, was Du ergattern konntest, überhaupt basteln kannst.
Wobei diejenigen, die an den leeren Regalen schuld sind, ja auch nicht besser dastehen! Wir zum Beispiel haben bei der letzten Shoppingtour keine Nudeln bekommen, also sind wir auf Reis ausgewichen, einfach so. Wer jetzt aber in seinen Schränken palettenweise Mehl gebunkert hat, ist doch noch viel abhängiger! Wenn die oder der, jetzt keine Eier oder auch keine Milch bekommen können, was nützt das dann alles, mit dem Mehl? Was will man dann machen? Selbstbestäubungsspiele zum Wälzen oder einen Mühlenfetisch ausleben? Wisst Ihr was? Ich will da gar keine genaueren Informationen, ich habe allerdings eine neue Einstellung, was meine Mitmenschen angeht, das wirkt auch über COVID-19 hinaus!
Der Weg
Da eigentlich die Leute in den eigenen vier Wänden bleiben (sollen), sind die Straßen schon recht leer. Wenn man nun aber meint, dass die Wege schneller befahren werden können, ist dies ein Irrtum. Es sind zwar weniger Menschen unterwegs, dafür aber die Richtigen! Es sind nämlich alle die on Tour, die entweder gefrustet ihrer Wege gehen, weil sie gar keine Lust haben, das Haus zu verlassen oder, noch schlimmer, die, mit denen auch sonst im Alltag nicht auszukommen ist. Die Egoisten oder Ignoranten, denen ein friedliches Miteinander zu jeder Zeit, am Allerwertesten vorbeigeht. Es wird blind über die Straße gerannt, einfach die Autotür zu Fahrbahn hin aufgerissen oder mitten auf der Kreuzung angehalten um zu bemerken, dass der Lieblingsklamottenladen, gar nicht geöffnet hat. Alles so was eben. Kommt man nun aber auf den Supermarkt- oder Discounterparkplatz, ist es da voll, wie am Tag vor Weihnachten.
Let’s go!
Mir schwant anhand des vollen Parkplatzes nichts Gutes. Was zum Geier wird da drin los sein? Nicht nur vom Betrieb her, nein, auch von den Miteinkäufern, dürfte einiges zu erwarten sein. Ich sehe Menschen mit Atemmasken, manche tragen sie nur als Kinnwärmer. Andere wischen hektisch am Griff des Einkaufswagens herum, um dann erst das Leergut aus dem Kofferraum zu holen und in die Karre zu packen. Wenn ich sehe, was da aus manchem Korb tropft, sieht so ein Corona-Virus, gleich viel netter aus.
Alle benehmen sich auf den ersten Blick merkwürdig, aber was hilft es, ich muss da raus und mitmachen. Ich werde gleich ein Teil der Gefahr sein, Tür auf und raus.
Das Auto neben mir, kann vom Fahrer anscheinend erst bestiegen werden, wenn ich mein Fahrzeug endgültig verlassen habe, er wartet 5 Meter hinter seinem Auto. Klar, während er einsteigt, werde ich meine Viren bestimmt über seine Karre rüber zu ihm schießen, wenn ich denn überhaupt welche habe.
Wir sind zu zweit, meine Frau und ich. Es gibt da inzwischen so eine Routine, die sich eingespielt hat. Während ich noch das Auto dichtmache, holt sie den Einkaufswagen und wir treffen uns dann ziemlich genau am Eingang. Heut klappt das nicht, bei den Karren ist ein kleiner Desinfektionsstau. So bin ich natürlich schneller an der Tür und sehe auch schon, einen Security-Menschen. Ich gehe auf ihn und die Tür zu, er schaut mich an. Blickkontakt mit der Sicherheit, was wird geschehen?
Ich gucke, er guckt, ich gucke erneut, er guckt zurück! Ich bleibe stehen, muss ja auf die Frau warten. Nur, ER weiß das nicht! Für ihn stehe ich sinnlos provozierend, in 2 Meter Abstand an der Tür. Jetzt ändert sich jedoch plötzlich die Situation, was mir Zeit verschafft. Eine Frau will in das Geschäft! Nur sie mit sich selber. Er ruft: „Hallo Frau, nur mit Einkaufswagen!“ Sie ruft: „HÄ?“ Er ruft: „Nur mit Einkaufswagen!“ Sie schüttelt den Kopf, wendet und zieht von dannen.
Mittlerweile ist mein Eheweib angekommen, mit Wagen natürlich. Jetzt ist mir auch klar, warum der vorhin schon so komisch geschaut hat. ICH HATTE KEINEN WAGEN! Kindesentführung, Mord, Landesverrat – alles nicht schön, aber jetzt ohne Wagen in den Laden, DAS geht gar nicht! Nun gut, wir haben ja einen. Wir sind, in Sekunden, von Verdächtigen, zu Privilegierten geworden.
Der Einkauf
Gleich zu Beginn fällt mir auf, dass es im Inneren dieses Essensversorgungszentrums nicht annähernd so voll ist, wie die Autos draußen vermuten lassen.
Der Laden sieht aus, wie eine Straße zur Vermessung. Zettel, Hinweise, Markierungen auf dem Boden, ich bin beeindruckt. Klar, man soll Abstand halten, aber wer so viele Hinweise braucht, hat, so glaube ich, dann doch noch andere Probleme. Jetzt kommen wir obendrein zu einem Situationsstau. Ich will nach vorne, in Richtung Brot. Die Anstandsabstandsmarke beachtend, halte ich die Distanz zur Dame vor mir ein. Diese wiederum, muss aber eine kleine Strecke zurückgehen, weil sie etwas sucht. Nun, damit würde sie aber in meinen Tanzbereich eintreten, was sie offensichtlich mit Unwohlsein erfüllt. Ich selber kann aber auch nicht zurück, mir würde das Gleiche, mit meinem Hintermann passieren. Ich sehe schon, dies wird mein Ende werden, ich komme hier ja nie wieder raus. Das ist jetzt wie an einer rechts vor links Kreuzung, bei der an jeder Straße jemand wartet. Als meine Frau allerdings einfach überholt, bin ich raus aus der Nummer und renne stur hinterher, nur nicht zurück gucken. Überhaupt ist es im Moment gut, nicht alleine zu sein. Was man hier so erlebt, würde einem doch ohne Zeugen niemand glauben!
Wir gehören nun keinesfalls zu den momentan an jeder Ecke zu findenden Hamsterkäufern, haben durch die fünf Mäuler, die hier im Haushalt zu füttern sind, aber auch keine kleinen Mengen, die so im Einkaufswagen landen. Da sind wir nun gleich bei einem weiteren Problemchen. Nämlich den Reaktionen von einigen unglaublich schlauen Zeitgenossen im Geschäft, wenn man zum Beispiel fünf Pizzen gleichzeitig kauft. Es beginnt mit harmlosen Blicken und führt zu einem recht albernen Verhalten, wenn sie an einem vorbeigehen. Da ich mir abgewöhnt habe, mir über die Intelligenz mancher Mitmenschen Gedanken zu machen, kann ich da eigentlich gelassen mit umgehen. Was ich mir aber eben nicht verkneifen kann, ist diese Leute dann von meiner Seite aus zu beobachten. Irgendwann machen nämlich fast alle genau das Gleiche, worüber sie eben noch die Nase gerümpft haben. Wenn ich dann sehe, dass da gerade 6 Flaschen Duschgel eingepackt werden, kann ein kleiner Hinweis darauf, dass man zusätzlich auch Wasser benutzen muss, schon als kleiner Seitenhieb gewertet werden, ist ja auch einer. Angst vor Gegenwehr? Warum sollte ich? Ich habe zusätzlich noch zwei steinhart gefrorene Hähnchen und Kidney-Bohnen-Dosen als Munition, sollen sie nur kommen! Was man mit den Pizza-Frisbee-Scheiben alles per Distanz klären kann, habe ich bisher noch gar nicht erwähnt, ich bin dreifach bereit. OK, geschehen ist allerdings auch nichts, vielleicht besser so.
Der Wagen füllt sich, dass meiste, was wir benötigen, ist tatsächlich vorhanden, wenn auch, seltsamerweise, für gelegentlich recht merkwürdig erhöhte Preise. Ich denke mir: „Wie bei der Euro-Umstellung damals…„, danach ist auch alles so geblieben. Aber was soll man auch machen, der Kram wird benötigt.
Wir taktieren uns unter Abstandsmarkierungseinhaltung, Nutzungsbereichsbeachtung und Einkaufserfolgsabsicht, durch das Geschäft. Irgendwie fühlt sich das alles nicht nach einem Einkauf an, eher geht es in Richtung Einbruch, vermute ich wenigstens. Man ist an einem Ort, an dem man nicht sein sollte, um Dinge zu bekommen, die einem von manchen nicht überlassen werden wollen.
Die Kasse
Es ist ja leider nicht zu vermeiden, der Krempel muss bezahlt werden. Wir nähern uns der Kasse, die eher wie eine Festung wirkt. Kasse ist jetzt vielleicht auch das falsche Wort, Maschinengewehrnest, passt besser. Wer jemals an der DDR-Zonengrenze gewartet hat, kann vielleicht mein etwas beklommenes Gefühl in der Magengegend nachvollziehen. Zusätzlich kommt jetzt noch der Umstand hinzu, dass man schlecht abschätzen kann, wie lange es wohl dauern wird. Die Menschen halten oft auch zu den Mindestabstandsmarkierungen noch einen Mindestabstand ein, daraus folgt, dass die Schlange eigentlich keine Schlange, sondern eine Perforationskante ist. Was dann wieder dazu führt, dass sich Kunden versehentlich in die Reihe stellen, die noch gar nicht fertig sind, aber unter Einhaltung der Abstände eine Zeit in der Schlange verbringen, um zum Spinat zu gelangen. Das ist ein ziemlich unsinniger Aufwand, wer will sich aber andererseits auch schon von einem Mob lynchen lassen, weil er durch die Sperrzonen zum Gemüse geht? Manche sind eben keine Kämpfer, ich habe mir für alle Fälle schon die beiden TK-Hähnchen in Reichweite gelegt. Wer zuerst mit Geflügel wirft, kann bestimmt die Schlacht für sich entscheiden. Das riskiert aber niemand, der Feind hätte ja die Waffen zuvor, mit den Händen berührt!
Wir schreiten und warten, das Laufband ist erreicht. Wir können leider nicht in der gewohnten Geschwindigkeit unseres Teamplays die Waren auflegen, alles ist irgendwie mit Abständen versperrt. Ich versuche, mit Blickkontakt zu meiner Frau zu erfahren, ob ich nicht doch lieber alles auf das Band WERFEN soll, immerhin brauche ich dann gar nichts von der Einrichtung anzufassen. Sie scheint aber mittlerweile auch abgeschaltet zu haben, dass Desinfektionsbedürfnis der Herren vor mir, der auf keinen Fall einen ungeputzten Warentrenner akzeptieren kann, scheint sie entnervt zu haben. Es entsteht eine Mischung aus warten, rücken, auflegen und schieben, ich kann dieses surreale Erlebnis nicht mehr aufnehmen, ich funktioniere nur noch.
Wie durch einen Nebel nehme ich wahr, dass der Warentrennerhygieniker von gerade eben, beim Bezahlen sehr vorsichtig agiert. Er nimmt sogar den Geldschein kurz in die spitzen Finger, als er ihn der armen Kassierin, unter dem Spuckschutz hindurch, entgegenschleudern will. Da er ihn aber eben zu knapp gegriffen hat, flutscht er hinweg und muss erneut gepackt werden. Er muss erneut die eigene Banknote anfassen, alle Umstehenden, sind erschüttert! Ich bin nur froh, dass der Schein nicht auf dem Boden gelandet ist, dann wären wir hier wahrscheinlich festgesetzt worden. Wahrlich, ein Söldner im Dienste des Puddings und der Hygiene.
Flucht
Mir reichts! Ich frage meine Frau: „Schaffste den Rest alleine?“ Sie nickt nur, sie weiß, dass ich schon zu den Zeiten, in denen die Zivilisation noch gültig war, ein Gräuel vor der Kasse hatte. Ich will raus hier, zum Auto, nach Hause. Ich flüchte durch eine unbesetzte Nebenkasse, nur raus aus dem Irrenhaus. Entgiftungsduschen sehe ich keine, vermutlich kann der Laden ohne Betreuung verlassen werden.
Ich schreite mit zügigen Schritten vorbei an Atemmasken, Türstehern und keifenden Weibern, die ihren Alltagstratsch ja nun mit 1,5 Meter Abstand austauschen müssen. Wahrscheinlich spucken sie dabei so sehr, dass ein Zungenkuss hygienischer wäre. Mir wird plötzlich klar, dass ich in einem Land lebe, das ein Wirtschaftswunder geschafft, führende Technologien entwickelt und andere Nationen unterstützt hat. Welches aber jetzt, in diesem Moment, Securityservices benötigt, damit das Klopapier für alle reicht und die Menschen, sich schlicht nicht bespucken können, beim Einkaufen…
Für heute reicht es!